Manuskript

Manege frei im Circus Knie

Sie bezeichnet sich selbst als Dynastie: die Zirkusfamilie Knie. Seit dem 19. Jahrhundert will sie Menschen mit ihren Attraktionen den Alltag vergessen lassen. Doch auch ein Traditionszirkus muss mit der Zeit gehen.


Wer etwas über die „Zirkusdynastie“ der Familie Knie erfahren möchte, kommt am Familienoberhaupt nicht vorbei. Fredy Knie junior erzählt gern über die Geschichte des Unternehmens und wie es sich über die Jahrzehnte verändert hat – am liebsten in seinem Zirkuswagen. Im Innern, in einer Art Salon mit schweren Ledersesseln, gewährt er einen Einblick – auch in die Anfänge der Zirkusdynastie Knie im 19. Jahrhundert. Denn auch wenn der Circus Knie im Jahr 2019 sein 100. Jubiläum feierte, so waren die Knies schon vor 1919 als Artisten unterwegs, sagt Fredy Knie:

„Die Dynastie ist [besteht] seit 1803, aber da waren wir offene Arena, das heißt Seiltänzerfamilie auf den Marktplätzen … von Haus zu Haus das Seil [gespannt] … und die Bühne in der Mitte. Und von 1919 an haben wir dann ein Zelt gehabt und haben den ‚Schweizer National-Circus‘ gemacht.“

Die Anfänge des Zirkus und der Familie Knie liegen eigentlich in Österreich. Dort hatte  Friedrich Knie im Jahr 1803 sein ungeliebtes Medizinstudium abgebrochen und sich einer Artistentruppe angeschlossen. Drei Jahre später gründete er in Innsbruck ein eigenes Unternehmen mit Seiltänzern, Akrobaten und Pferden. Die Zirkustruppe gastierte in Deutschland, Österreich und erstmals 1814 in der Schweiz – auf öffentlichen Plätzen, auf offenen Arenen. Dort wurden Kunststücke vorgeführt, etwa das Balancieren mit einer langen Stange auf einem Seil. Doch so war man natürlich nicht vor dem Wetter geschützt. Ein Zelt sollte her. Allerdings kam es darüber  innerhalb der Familie zum Streit, erzählt Fredy Knie:

„Ja, die Mutter von der vierten Generation, die wollte kein Geld geben. Die hat gesagt, Nein! Schuster bleib’ bei deinem Leisten. Und dann haben die einen Zeltbauer gefunden, wo [der] ihnen das auf Raten[zahlung] gegeben hat, ja.“

Marie Knie, die Mutter von der vierten Generation, wollte sich für den Kauf eines Zirkuszeltes nicht verschulden. Getreu der Redewendung „Schuster bleib bei deinem Leisten“, also in etwa: „Tu nichts, wovon du nichts verstehst, bleib bei dem, was du hast“, weigerte sie sich, ihre vier Söhne bei der Anschaffung finanziell zu unterstützen. Diese fanden aber jemanden, der bereit war, ihnen einen Kredit zu gewähren, den sie in Raten abbezahlten. Die Anschaffung wurde zum Erfolg, konnte sie doch innerhalb von drei Monaten abbezahlt werden. Premiere des „Schweizer National-Circus Gebrüder Knie“ im ersten Zelt war im Juni 1919 in der Schweizer Stadt Bern. Schon bald hielten auch Tiere Einzug in die Manege, so Fredy Knie:

„Vor 1919 war es das Hochseil und nachher sind’s die Pferde und Elefanten geworden.“

Die Elefanten waren lange, seit den 1920er-Jahren, ein Markenzeichen des Circus Knie. Doch 2015 entschied die Familie, auf die Vorstellungen mit den „grauen Riesen“ zu verzichten. Dafür gab es laut Fredy Knie gute Gründe:

„Die Platzverhältnisse sind zu klein geworden. Man kann die Gehege nicht so aufbauen, wie man sollte.“

Im Jahr 2015 wurden die Elefantennummern gestrichen. Diese Entscheidung fiel laut Fredy Knie aus eigenem Antrieb, obwohl es auch lange Kritik von Tierschützern gegeben hatte. Denn es war unmöglich geworden, eine ausreichend große Fläche für die Gehege, die eingezäunten Bereiche für die Tiere, zu finden. Nach wie vor sind allerdings Pferdenummern im Programm. Fredy Knie gilt als Pferdeflüsterer und zeigt, wie man sich erfolgreich mit einem Pferd verständigen kann. Der Zirkus, der im Laufe seiner Geschichte immer wieder auch ums Überleben kämpfen musste, steht mittlerweile gut da. Mit rund 250 Leuten geht man jedes Jahr auf Tournee durch alle Regionen in der Schweiz, sagt Fredy Knie:

„Wir gehen nicht ins Ausland. Wir haben acht Monate Tournee in der Schweiz. Wir decken alle Regionen ab. Im Winter gehen wir mit unseren Pferdenummern als Gastnummern ins Ausland, Amsterdam, Stuttgart, alle möglichen Orte, aber im Sommer, der Zirkus bleibt in der Schweiz. Das war immer so und das wird immer so bleiben.“

Zum 100. Geburtstag präsentierte sich der Circus Knie mit einem neuen, rot-weißen Zelt. Es war quasi ein Geschenk von Zirkusfreunden. Das dafür nötige Geld wurde per Crowdfunding-Aktion gesammelt, etwas, das Fredy Knie anfangs gar nicht kannte:

„Ich wusste gar nicht, was das ist. Und dann haben wir das gemacht, und die was gegeben haben, die kriegen aus dem alten Zelt eine Tasche gemacht oder die kriegen ein Jubiläumsbuch oder ab 500 Franken haben die dann ihren Namen im Zelt reingeschrieben gekriegt. Und wir haben doch über 250.000 Franken gespendet bekommen.“

Umgerechnet mehr als 220.000 Euro kamen zusammen durch Freunde des Zirkus, die kleine Erinnerungen als Dankeschön für ihre Spende erhielten. War es eine größere Spende, wurde der Name der  Spenderinnen und Spender  im neuen Zelt verewigt. Zur Jubiläumstournee 2019 waren in der Arena nicht nur klassische Nummern wie Artisten, Clowns und Pferde zu erleben, sondern auch Comedy-Stars aus dem Schweizer Fernsehen. Denn, so sagt Fredy Knie:

„Man muss immer mit der Zeit gehen. Ich meine, wir machen klassischen Zirkus, haben aber auch ganz, ganz viele moderne Elemente drin. Wenn man schon die Lichtanlage anschaut, die ist einem Rockkonzert ebenbürtig. Die Tonanlage, vor hundert Jahren waren das drei verschiedene Farben, wo man hatte, und ’n kleines Orchester. Der Zirkus muss sich immer verändern und er wird sich auch immer verändern, wenn er bestehen bleiben will.“

Diejenigen, die einen Zirkus besuchen, erwarten klassische Nummern. Aber auch die technische Ausstattung, die das Geschehen in der Manege begleitet, muss modern sein, mit der Zeit gehen. Dazu gehören die Licht- und die Tontechnik. Und die ist, so Fredy Knie, mit einem Rockkonzert durchaus vergleichbar, ist ebenbürtig. Inzwischen steht bereits die achte Generation in der Manege. Nicht zuletzt aus dem Wunsch heraus, den Fredy Knie so formuliert: „Wenn die Leute ihren Alltag vergessen und staunen, haben wir unser Ziel erreicht.“

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