Ein Schild mit der Aufschrift „Nordfriesland“ und der friesischen Variante „Nordfraschlönj“ (Quelle: Frank Molter/dpa/picture alliance)
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Debatte im Bundestag auf Platt und Nordfriesisch

Wenn es um den Schutz der Minderheitensprachen wie Dänisch oder Sorbisch in Deutschland geht, wird meist auf Hochdeutsch diskutiert. Bundestagsabgeordnete haben das bei einer Plenardebatte am 2. März geändert.

Kleinere Sprachen schützen und fördern – das ist das Ziel der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen, die vor 25 Jahren, am 1. März 1998, verabschiedet wurde. Sie gilt mittlerweile in 25 Ländern. In Deutschland betrifft sie die Sprachen Dänisch, Friesisch, Sorbisch, Romanes und die Regionalsprache Niederdeutsch (Platt). Im Bundestag haben Debatten über diese Sprachen bisher immer auf Hochdeutsch stattgefunden. Anders am 2. März 2023: Bei der Debatte wurde nicht nur über, sondern auch in einigen dieser Sprachen gesprochen.

Über und auf Plattdeutsch sprachen Johann Saathoff (SPD), Linda Heitmann (Bündinis90/Grüne) und Gyde Jensen (FDP) und Andreas Mattfeldt (CDU/CSU). Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) begrüßte die Teilnehmenden auf Nordfriesisch, hielt seine Rede auf Plattdeutsch und beendete sie auf Dänisch. Sorbische Grußworte richtete Simona Koß (SPD) an die Abgeordneten.

Mehr übereinander lernen

Astrid Damerow (CDU/CSU), die in den ersten Minuten ihrer Rede Nordfriesisch sprach, erklärte, dass Friesisch nur noch von wenigen Tausend Menschen gesprochen werde und somit als bedroht bezeichnet werden könne. Sie halte es für sehr wichtig, dass an allen Schulen Deutschlands mehr Wissen über die nationalen Minderheiten in Deutschland vermittelt werde. Dies sieht Petra Pau (Die Linke) ähnlich. In ihrer Rede sagte sie, dass der Begriff „Regionalsprachen“ dazu verleite, „die damit verbundenen Kulturen auch nur regional zu vermitteln und nicht bundesweit.“ Dies werde auch vom Minderheitenrat beklagt, so Pau. Sie findet: „Auch Sachsen sollten etwas über Friesen wissen und Hamburger über Sorben.“

Natalie Pawlik (SPD), Beauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, betonte, dass die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen zusammen mit dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten die zentrale Vereinbarung in Europa sei, um nationale Minderheiten und ihre spezifischen Sprachen sowie Regionalsprachen zu bewahren und zu fördern. Häufig komme es dabei aber vor allem auf das Engagement Ehrenamtlicher an.

Sie verwies zum Beispiel auf Altenpflegeeinrichtungen, in denen das Niederdeutsche im Alltag verankert wird. In der Lausitz, in Nordfriesland und im Saterland zeigten zweisprachige Ortsschilder, dass die Minderheitensprachen dort präsent seien. Pawlik sagte: „Der Austausch zwischen Mehrheits- und Minderheitensprachen, der Austausch zwischen den dazugehörigen Kulturen, die nebeneinander eigenständig existieren, ist für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft essenziell.“

Minderheitensprachen machen Deutschland reicher

Die Initiative für die Bundestagsdebatte am 2. März geht auf den Parlamentskreis Plattdeutsch zurück, der vor Kurzem von einigen Abgeordneten sowie Muttersprachlern und Muttersprachlerinnen gegründet worden war. „Das war eine spontane Idee“, berichtete Johann Saathoff. Seit der neuen Legislaturperiode treffen sich regelmäßig nun etwa 15 Abgeordnete fraktions- und regionsübergreifend, um Plattdeutsch zu sprechen.

Plattdeutsch im Bundestag zu sprechen sei schon etwas Besonderes, sagte Saathoff im Vorfeld der Sitzung. Schon früher hatte er in seinen Reden immer wieder plattdeutsche Sätze oder Passagen eingebaut. In Norddeutschland wird die Sprache von etwa 2,5 Millionen Menschen gesprochen. 2018 sorgte Saathoff im Bundestag für Aufsehen, als er auf Plattdeutsch einer AfD-Initiative zur Verankerung von Deutsch als Landessprache im Grundgesetz konterte. „Düütschland word neet armer dör anner Spraken, Düütschland word rieker“, sagte er damals – Deutschland werde nicht ärmer durch andere Sprachen, sondern reicher.

Auch für Stefan Seidler sind Regionalsprachen und Minderheiten „nicht einfach ein Sahnehäubchen mit ‘ner Kirsche oben drauf“. Sie gehörten zum Alltag dazu, seien „Teil unseres Lebens und unserer Identität“, so Seidler. Dementsprechend müssten sie auch gestützt und gefördert werden. Dies komme in letzter Zeit zu kurz. „Wichtig ist es gerade in dieser Zeit zu zeigen, dass Deutschland vielfältig ist und aus vielen Kulturen besteht“, sagte der SSW-Abgeordnete.

Ärger habe es wegen plattdeutscher Passagen [in seinen Reden] noch nicht gegeben, so Saathoff: „Ich habe den Eindruck, dass sich die Wahrnehmung in Berlin auch verändert hat. Ursprünglich ist das mal belächelt worden, jetzt merke ich, dass es viele Kolleginnen und Kollegen gerade aus Norddeutschland gibt, die so ein bisschen neidisch drauf gucken und sagen: Mensch, diese Sprache hätte ich auch gern gelernt.“ Doch das Niederdeutsche ist wie andere Minderheitensprachen in seiner Existenz bedroht. Nach Angaben des Niederdeutschsekretariats in Bremen fand in den 1950er- und 1960er-Jahren ein Sprachwechsel in vielen Familien statt: Hochdeutsch verdrängte zunehmend das Plattdeutsch, da es als Bildungshemmnis galt.

Weitere Maßnahmen sind nötig

Wie gut der Erhalt der Minderheitensprachen und die Einhaltung der Sprachencharta klappen, darüber wachen Experten und Expertinnen des Europarates in Straßburg. Sie prüfen Berichte, die die Vertragsstaaten regelmäßig vorlegen müssen. Für Deutschland sahen sie zuletzt noch Luft nach oben – etwa bei der Zahl von ausgebildeten Lehrkräften, die in Minderheitensprachen unterrichten. „Es müssen sofortige Maßnahmen ergriffen werden, um eine ausreichende Anzahl von ausgebildeten Lehrern für den Unterricht in den Regional- oder Minderheitensprachen sicherzustellen“, forderte das Gremium im vergangenen Jahr.

sts/ip (mit dpa)